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Der Mann, der sich beim Tanzen in die Lüfte erhob

In den glanzvollen Tagen des Sonnenkönigs Ludwig XIV., als Versailles das Zentrum der Welt war, lebte ein junger Tänzer namens Étienne am Hofe. Étienne war von außergewöhnlicher Begabung, doch er war auch ein stiller, unauffälliger Mann, der sich inmitten der Pracht und der Intrigen des Hofes wohlzufühlen schien. Obwohl er in der Kunst des Tanzes brillierte, war Étienne in einer anderen Hinsicht ein unbeschriebenes Blatt: Er hatte sich noch nie auf die leidenschaftlichen Verwicklungen eingelassen, die am Hofe so verbreitet waren, und sein Herz war weitgehend unberührt von den süßen wie bitteren Torheiten der Liebe.

Doch es gab jemanden, der Étiennes Herz in Unruhe versetzte: Suzanne, die Kammerzofe des Königs. Sie war eine junge Frau von schlichter Schönheit, mit klugen Augen und einem Lächeln, das stets etwas Verschmitztes an sich hatte. Im Gegensatz zu den hochgeborenen Damen am Hof, die sich in prächtigen Kleidern und mit aufwendigen Frisuren schmückten, war Suzanne in ihrer Einfachheit erfrischend. Ihre Natürlichkeit und Anmut hatten Étienne tief beeindruckt, und er fand sich immer öfter dabei, ihren Weg mit verstohlenen Blicken zu verfolgen.

Étienne, der in all den Jahren am Hofe den Versuchungen der Liebe widerstanden hatte, war nun in einer seltsamen Zwickmühle. Seine Zuneigung zu Suzanne wuchs, doch er wagte es nicht, sich ihr zu offenbaren. Wie konnte er, ein Mann der bisher nur den Tanz als seine einzige Leidenschaft kannte, plötzlich von einem Gefühl überwältigt werden, das er nicht verstand? Er fürchtete, dass diese neue, ungewohnte Empfindung seine Leichtigkeit und Freiheit beeinträchtigen könnte – die Qualitäten, die ihn zu dem außergewöhnlichen Tänzer machten, der er war.

Dann kam der Abend eines großen Balls zu Ehren des Königs, bei dem Étienne die Chance bekam, seine außergewöhnliche Kunst vorzuführen. Der Saal war gefüllt mit den Klängen von Cembali und Violinen, und die Höflinge tanzten in ihrer eleganten, doch immer auch etwas berechnenden Weise. Suzanne war ebenfalls anwesend, in einer Ecke des Saals, wie immer im Dienst. Ihr bloßer Anblick genügte, um Étiennes Herz schneller schlagen zu lassen.

Als Étienne die Tanzfläche betrat, spürte er eine neue Art von Nervosität, die ihm unbekannt war. Doch als die Musik erklang, verlor er sich wieder in der Kunst des Tanzes. Mit jedem Schritt wurde er leichter, bis er sich – zur Überraschung aller – plötzlich in die Luft erhob. Seine Bewegungen waren so mühelos, dass er kaum den Boden berührte, und bald schwebte er über den Köpfen der erstaunten Menge. Doch dieses Mal war es anders. Etwas zog ihn in der Luft, eine unsichtbare Kraft, die ihn höher steigen ließ als je zuvor. Er wusste, dass es seine Gefühle für Suzanne waren, die ihn trugen, die ihm Flügel verliehen.

Suzanne beobachtete das außergewöhnliche Schauspiel mit großen Augen. Étienne, der sich sonst so sicher und leicht auf dem Parkett bewegte, schien nun schwerelos, als wäre er vom Himmel selbst getragen. Die Menge hielt den Atem an, als Étienne in kunstvollen Spiralen durch die Luft tanzte, sein Blick jedoch war die ganze Zeit auf Suzanne gerichtet. Es war, als ob er nur für sie tanzte, als ob dieser Moment nur ihnen beiden gehörte.

Als die Musik verstummte, kehrte Étienne sanft zur Erde zurück. Die Höflinge brachen in begeisterten Applaus aus, und selbst der König, dem Lob selten über die Lippen kam, trat vor, um Étienne zu gratulieren. Doch Étienne suchte in der Menge nur nach einem Gesicht – nach Suzanne. Sie lächelte ihn an, und in diesem Augenblick wusste er, dass er nie wieder so leicht sein würde wie zuvor, aber auch, dass er diese Schwere des Herzens nicht missen wollte.

Von diesem Tag an wurde Étienne am Hofe zur Legende, doch er blieb derselbe bescheidene Mann. Seine Liebe zu Suzanne blieb ein gut gehütetes Geheimnis, doch ihre stillen Begegnungen – ein Blick, ein Lächeln, ein flüchtiges Wort – erfüllten sein Leben mit einer neuen, tiefen Freude. Er hatte gelernt, dass es die Liebe war, die ihn in die Luft erhob, und dass sie auch die Kraft hatte, ihn auf dem Boden zu halten, genau dort, wo er sein wollte: an Suzannes Seite.

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